Simulation und Virtuelle Realitaet

1.5 Simulation und Virtuelle Realität

Bei der Simulation handelt es sich um ein dynamisches Planungsverfahren. Mathematisch-analytische Methoden gestatten bei einer Aufnahme der Betriebsabläufe jeweils nur die Darstellung einzelner aus dem Gesamtablauf herausgegriffener Situationen. Um also Prozeßabläufe in ihrer zeitlichen Entwicklung darzustellen, würde eine Vielzahl von Berechnungen nötig sein.

Die Lösung des Mengen- und Raumproblems ist aus den geschilderten Verfahren zur Layoutoptimierung bekannt. Nicht beantwortet wird aber die Frage, ob benötigte Mengen zum rechten Zeitpunkt am richtigen Ort sind. Die Simulation betrachtet außer dem Mengen- und Raumproblem auch noch das Zeitproblem. Dabei wird mit Hilfe der EDV an einem mathematischen Modell die Entwicklung charakteristischer Zustandsgrößen beobachtet. Die Simulation läßt sich sowohl zur Überprüfung bestehender Abläufe als auch zur Planung neuer Prozesse einsetzen, wobei Rationalisierungsreserven und Engpässe gut zu erkennen sind.

Man unterscheidet:

  • zeitstetige Simulationsmodelle entsprechend zustandsstetiger oder als zustandsstetig angenommener Prozesse und
  • zeitdiskrete Simulationsmodelle entsprechend zustandsdiskreter oder als zustandsdiskret angenommener Prozesse.

Den stetigen Simulationsmodellen liegt konzeptionell ein Regelprozeß zwischen Potentialebenen zugrunde. Zwischen diesen Potentialen finden Übergänge in Form von Flüssen statt. Diese Übergangsraten werden über Entscheidungsfunktionen gesteuert. ModeIIe dieser Art werden zur Ermittlung langfristiger Entwicklungstrends wie z. B. des Personalbedarfs, des Kapazitätsbedarfs, der Umsatzerwartungen usw. eingesetzt.

Bei diskreten Simulationsmodellen wird der Fertigungsprozeß in · permanente Einheiten (Fertigungsstellen, Fördermittel) und · temporäre Einheiten (Fertigungsaufträge, Paletten) eingeteilt.

Eine weitere Form der Organisationsgestaltung im Vorfeld einer realen Produktion oder Erstellung einer Dienstleistung sind "virtuelle Unternehmen". Temporäre Zusammenarbeit erzeugt virtuelle Unternehmen, die sich durch die Inanspruchnahme eines inner- oder zwischenbetrieblichen Netzwerkes auszeichnen. Der entscheidende Faktor ist der Bedarf an temporärer Kooperation und der gemeinsamen Leistungserstellung. Virtuelle Unternehmen können auf innerbetrieblicher Ebene durch die Bildung einer Arbeitsgruppe auf der Basis kooperativer Netzstrukturen entstehen. Auf zwischenbetrieblicher Ebene entstehen virtuelle Unternehmen durch ein Kooperationsnetzwerk zwischen Kunden, Zulieferern und Geschäftspartnern. Die Motivation für virtuelle Unternehmen entsteht aus der Notwendigkeit der Konzentration auf die Kernkompetenzen heraus. Die Effektivität der Leistungserstellung kann langfristig nur durch hohe Flexibilität der Organisation erreicht werden, was mit traditionellen Organisationsmustern nicht möglich ist. Diese Bedingung führt zum Bedarf an temporären ortsunabhängigen Kooperationen zur gemeinsamen Leistungserstellung.

Die Initiierung logischer Strukturen ist das zentrale Merkmal der virtuellen Unternehmen. Damit wird ein Erfahrungsvorsprung möglich, der mit herkömmlichen Unternehmen, auch mit Großkonzernen, nicht möglich ist, Unter heutigen Rahmenbedingungen - sowohl in wirtschaftlicher als auch in gesellschaftlicher Hinsicht - lassen sich folgende Erfolgsfaktoren benennen:

  • Nutzung von Skaleneffekten,
  • Entwicklung differenzierter und spezialisierter Produkte oder Dienstleistungen mit relativ kurzer Innovationszyklen und
  • effiziente Koordination komplexer Geschäftsprozesse und flexibler organisatorischer Modelle

Neben den genannten Potentialen ist es vorstellbar, daß sich durch die virtuellen Unternehmen auch Reduktionen von Transferaufwendungen ergeben. Modelle, wie die Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort, aber auch geringere FuE-Investitionen, ebenso wie reduzierte Investitionskosten in Betriebsmittel, erlauben in diesem Konzept, trotz geringerem Gesamtaufwand dem Kunden gegenüber, ein umfangreiches Leistungspaket zu bieten. Die Frage der Akzeptanz, die angesprochen wurde, ist jedoch noch nicht geklärt. Zu sehr wird im Augenblick das "Nichtvorhandensein" einer erkennbar leistenden Gesamtinstitution das Vertrauen der Kunden strapazieren.

"Eine virtuelle Organisation hat die Möglichkeiten und das Potential einer traditionellen Organisation, ohne jedoch über einen vergleichbaren institutionellen und strukturellen Rahmen zu verfügen". Während die anderen Strategien noch sehr stark durch die internen Strukturen geprägt sind und deren Optimierung ein zumindest gleichberechtigtes Anliegen ist, kommt beim virtuellen Unternehmen der Außenorientierung und der Gestaltung der Kooperationen ein wesentlich größerer Anteil zu. "Der durch Eigentums- und Verfügungsrechte definierte Verfügungsbereich wird damit kleiner, während der durch vertragliche Beziehungen konstituierte wirtschaftliche Einflußbereich sich ausweitet"

1.6 Neue Fabrikkonzepte - Fraktale Fabrik

1.6.1 Produktionstechnik ändert sich

Vor rund 20 Jahren wurden in Deutschland in der Automobilproduktion die ersten Industrieroboter eingesetzt. Ohne den Roboter in all ' seinen inzwischen entwickelten Ausprägungen wäre z. B. eine konkurrenzfähige Automobilproduktion in Deutschland seit langem nicht mehr denkbar.

Visionäre haben vor Jahren von hochkomplexen und sehr flexiblen automatischen Produktionssystemen geredet. Die Vorstellungen haben sich nicht erfüllt. Bearbeitungszentren mit automatisiertem Werkzeug- und Werkstückwechsel hingegen, die in der dritten Schicht ohne Bedienung arbeiten, gehören in der metallverarbeitenden Industrie zum Alltag.

Immer wieder zeigt sich, daß es kaum möglich ist vorherzusagen, welchen Pfad innovative Entwicklungen einschlagen und welche Durchdringung sie letztlich erreichen werden. Deshalb aber auf Visionen ganz zu verzichten, wäre töricht und auch eine Verschwendung volkswirtschaftlicher Ressourcen: erst durch die gebündelten Anstrengungen von Industrie und Wissenschaft lassen sich neue Ideen umsetzen. Notwendig aber ist es, den jeweils erreichten Stand und die weitere Zielsetzung kritisch zu hinterfragen.

1.6.2 Wertewandel im Unternehmen

Die politischen, ökonomischen und technologischen Veränderungen in den letzten zehn Jahren haben auch in der Arbeitswelt ihre Spuren hinterlassen. In der Soziologie spricht man in diesem Zusammenhang von einem Wertewandel. Dies gilt insbesondere für die Einstellung zur Arbeit. Der Trend geht von materiellen (Versorgungs- und Sicherungs-) Werten zu postmateriellen Werten (Sozialstatus, Solidarität und Selbstverwirklichung) .

Wenn mehr und mehr Menschen nach Selbstbestimmung streben, wäre es ein Fehler, ihnen dies im Arbeitsleben zu verwehren. Folgerichtig sind Freiräume zu schaffen, um möglichst vielen Mitarbeitern Eigeninitiative zu ermöglichen. Als gestaltender und schöpferischer Prozeß dient die Arbeit nicht zuletzt der Selbstverwirklichung des Ausführenden (Bild 1 ) .

Mit noch so hoher Intelligenz und Wissen kann man die Detailerfahrung eines Mitarbeiters vor Ort nicht ersetzen oder ausgleichen. Also müssen wir diese Erfahrung nutzen, nicht nur in der Fabrik, sondern genauso für den Aufbau einer Partnerschaft zum Lieferanten. Von entscheidender Bedeutung wird sein, die Organisation industrieller Leistungserstellung so zu gestalten, daß die vorhandenen Potentiale im Sinne der Unternehmensziele nutzbar werden. Die richtige Kombination der Gestaltungsfelder Mensch, Technik und Organisation ist deshalb das vorrangige Ziel. Wer sich in unseren Betrieben auskennt, kann bestätigen, daß diesbezügliche Defizite nicht zu übersehen sind.

1.6.3 Organisation - Wichtig, wenn das Unternehmen funktionieren soll

Es sind sicher keine Gesetzmäßigkeiten zu finden, aus denen sich für bestimmte Rahmenbedingungen und Einflußgrößen eindeutig ein Produktionskonzept ableiten läßt. Man kann aber doch wesentliche Einflußgrößen wie Menge oder Fertigungsvolumen einerseits und Vielfalt des Leistungsangebotes andererseits identifizieren und daraus Leitlinien ableiten. Es gibt keinen Königsweg für das Finden eines Produktionskonzeptes, sondern die Struktur muß letztlich immer aufgrund der Gegebenheiten eines Betriebes individuell gefunden und angepaßt werden. Zudem kann als sicher gelten, daß wir wegen der Komplexität und der sich schnell verändernden Umwelt nie aus dem Optimierungsprozeß und dem Bekämpfen gerade besonders störender Nachteile herauskommen werden. Hierbei ist insbesondere das ständige Bemühen um Verbesserungen hervorzuheben - die japanische Vokabel "Kaizen" hat dafür schon fast Eingang in unsere Sprache gefunden.

1.6.4 Fraktale Fabrik - Organisationsform mit Zukunft

Unter Berücksichtigung vielfältiger Erfahrungen erweist es sich als vorteilhaft, für die Wertschöpfungsprozesse kleine schlagkräftige Einheiten bilden. Das Koordinierungsproblem wird damit in vielen Fällen bedeutend entschärft und reduziert sich auf die Schnittstellen zwischen den Einheiten. Bei Planung und Steuerung variantenreicher Fertigungen findet diese Konzept mehr und mehr Verbreitung. Fallstudien in deutschen Unternehmen bestätigen das Erfolgspotential eines solchen Ansatzes. Die intensivsten Informations- und Kommunikationsbeziehungen dürfen nicht über Bereichsgrenzen hinweg erfolgen. (Bild 2)

wenn wir Situation und Entwicklungstendenzen zusammenfassen, entsteht das Bild und Ziel der "Fraktalen Fabrik", angelehnt an die Mathematik der Fraktale zum Beschreiben natürlicher Strukturen. Deren Aufbau bleibt im wesentlichen unverändert, wenn die Auflösung verfeinert wird. Drei Eigenschaften fraktaler Objekte  haben für uns besondere Bedeutung: Selbstorganisation, Selbstähnlichkeit und Dynamik. Sie stellen einen Ansatz dar, Produktionsstrukturen im Sinne der beschriebenen Erfordernisse zu gestalten.

Eine der wesentlichen Forderungen, die wir an zukunftsträchtige Produktionsstrukturen stellen, ist die Fähigkeit zu unternehmerischem Denken und qualitätsbewußtem Handeln aller Bereiche, bis hin zum einzelnen Mitarbeiter. Wenn das hieraus abgeleitete Bild von selbständig agierenden Einheiten zutrifft, muß jedes Fraktal seinerseits eine (kleine] Fraktale Fabrik sein.

Aufgrund der Vielfalt denkbarer Lösungen für Einzelprobleme können sich Fraktale mit identischen Zielen sowie Ein- und Ausgangsgrößen intern doch unterschiedlich strukturieren. Auf zentrale Funktionen können wir in der

Fraktalen Fabrik selbstverständlich nicht verzichten: zum Beispiel auf eine zentrale Ressourcenplanung oder Planungsunterstützung, die fallweise und temporär tätig wird, sowie auf die Konzentration von Spezialwissen, das in den Fraktalen nicht kontinuierlich vorgehalten werden kann.

Sämtliche die Organisation betreffenden Hilfsmittel sind für alle Fraktale verfügbar. Insbesondere trifft dies auf die Verfügbarkeit von Informationen zu, die nicht mehr monopolisiert werden. Jedes Fraktal, letztlich jeder Arbeitsplatz, ist so zu betrachten wie das gesamte Unternehmen: Eine bestimmte Leistung ist komplett zu erbringen, eine Aufgabe möglichst eigenständig zu lösen. Dazu gehören Qualität, Menge, sparsamer Einsatz von Ressourcen, Zuverlässigkeit und Geschwindigkeit. Falls das Fraktal eigenständig dazu nicht in der Lage ist, wird es Unterstützung - im günstigen Fall nur kurzfristig - von "außen" suchen, also von anderen Fraktalen; diese können z. B. auch eine zentrale Dienstleistungsfunktion darstellen bzw. wahrnehmen. Im ersten Ansatz ist aber immer von ganzheitlicher Abwicklung von Aufgaben mit definierten Eingangs- und Ausgangsgrößen auszugehen.

"Fabriken in der Fabrik" zu schaffen, reicht aber keinesfalls aus, wenn nicht sichergestellt ist, daß sie - bildlich gesprochen - am gleichen Strang ziehen. Zäh verteidigte Einflußsphären sind leider nach wie vor eher die Regel als die Ausnahme in unseren Unternehmen. Es reicht auch nicht aus, Unternehmensleitbilder zu schaffen, wenn deren Umsetzung im Alltagsgeschäft nicht unterstützt wird. Daher wenden wir den Begriff der Selbstähnlichkeit vor allem auch auf die Ziele des Unternehmens und seiner Fraktale an: Die sinnvollerweise allgemein formulierten Globalziele müssen zu konkretem Handeln werden. Damit dieses in allen Fraktalen "synchron" geschieht, wird deren Zielsetzung weit konkreter gefaßt. Gerade bei weitgehender Autonomie ist es sonst beispielsweise für den Maschinenführer nicht unmittelbar erkennbar, welche Auswirkungen seine Entscheidungen auf die Kundenorientierung des Unternehmens haben.

Dynamische Anpassung an sich wandelnde Rahmenbedingungen schließlich wird auch Strukturelle Veränderungen einbeziehen als Konsequenz eines auf internen Lieferbeziehungen aufbauenden Unternehmensmodells.