Xerox-Technologiepark in Irland

Xerox Europe zentralisiert in Irland alle Kräfte:
Technologiepark auf der grünen Insel

"The Document Company" hat Probleme: die Kosten laufen ihr noch schneller davon, als die angestammten Märkte wegbrechen. Mit großen Anstrengungen und gleichermaßen dimensionierten Sprüchen will Xerox' Europa-Boss Pierre Danon den Riesentanker wieder auf Gewinnkurs bringen. Fragt sich nur, ob er dann noch Oberwasser hat.

Die Xerox-Mutter musste im ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahres Verluste über 243 Mio. US-Dollar hinnehmen, die Aktie verliert seit Monaten an Wert. Nach dem überraschenden Rücktritt von Xerox-Chef Rick Thoman im Mai dieses Jahres übernimmt sein Vorgänger und derzeitiger Vorstandsvorsitzender Paul A. Allaire für die kommenden zwei Jahre wieder den Posten als CEO. Allaire will die begonnenen Restrukturierungsmaßnahmen des Unternehmens fortführen, die unter anderem die Streichung von rund 5.200 Arbeitsplätzen vorsehen. Die Restrukturierung des finanziell angeschlagenen Konzerns soll dazu dienen, die Position von Xerox im Druckermarkt zu festigen. Derweil verkündigt Pierre Danon in Europa: „We will kill Heidelberger“. Nun denn.

Im vergangenen Jahr begann Xerox mit der Implementierung von zwei neuen Organisationseinheiten  innerhalb des Unternehmens: Industry Solutions Operations konzentriert sich auf den Direktvertrieb  von Lösungen für Großunternehmen. General  Market Operations konzentriert sich auf den Verkauf von vernetzten Druckern und Einzelplatz-Druckern, Kopierern, Multifunktionsgeräten, Faxgeräten und anderen Dokumentprodukten  über indirekte Vertriebskanale. Im März kündigte Xerox an, größere Produktivität anzustreben und Kosten zu reduzieren.

Reduce to the Max

Irland, die grüne Insel, ist schon für viele amerikanische IT-Firmen das europäische Traumland: dort sind die Steuern niedrig und es ist das einzige Land der Euro-Zone, in dem Englisch die Amtssprache ist. Auch Xerox sieht dort sein Heil: ECWC steht für European Customer Welcome Center, eine gerade fertig gestellte Gebäudeanlage nördlich von Dublin, mitten in einem HighTech-Industriepark auf der grünen Wiese. Was Irland hier in den letzten Jahren angesiedelt hat, gehört zur Creme der weltweiten IT-Industrie. Das ECWC von Xerox will 53 in ganz Europa verstreute Kundendienstzentren ersetzen: wer künftig bei der Xerox-Hotline seines Landes anruft, landet im Callcenter bei Dublin und wird dort sofort in seiner Sprache bedient. Seitens der 2.100 Mitarbeiter (Zielgröße bis 2003) offenbar kein Problem: 40 % davon kommen aus 29 anderen europäischen Ländern und beherrschen in summa 15 Sprachen.

Von 53 europäischen Xerox-Servicestützpunkten werden nur sechs und von den 27 Lagerstützpunkten nur fünf übrig bleiben. Begründet wird dies mit der Digitalisierung der Produkte, die Ferndiagnosen via Datenleitung einfach macht. Der Techniker in Dublin erkennt an seinem Diagnoseprogramm sofort, dass beim Kunden am Tegernsee ein Ritzel gebrochen ist. Wer würde diesen Fortschritt für den Kunden in Abrede stellen wollen?

Angriff auf HP

In Dublin sitzt künftig auch das European Business Support Centre: hier wird die gesamte kaufmännische Logistik von Xerox zentralisiert. Alle Rechnungen von Xerox kommen künftig aus Dublin. Ob sie dann auch bezahlt werden, steht allerdings auf einem anderen Blatt. In den USA, so hört man, hat die radikale Abkehr vom Konzept der regionalen Geschäftsstellen mit ihrer "individuellen Rabattstruktur" dem Konzern fast den Garaus gemacht: die Kunden waren sauer, dass sie ihren üblichen Rabatt nicht mehr bekamen, und zahlten einfach nicht mehr.

Und schließlich entsteht im irischen Dundalk auch eine neue Fertigungsstätte für Inkjet- und Multifunktionsdrucker, die bis 2003 rund 65 % aller weltweit benötigten Komponenten in einem Bereich fertigen wird, in dem Xerox in einer Allianz mit Sharp und Fuji weltweit aggressiv Marktanteile hinzugewinnen will. Auch DocuTech-Systeme werden hier künftig hergestellt. Alles in allem hat Xerox in den letzten drei Jahren rund 420 Millionen US-Dollar in Irland investiert und zählt dort inzwischen zu den größten privaten Arbeitgebern. Neben den Werken in Venray (Holland), Mitcheldean (England) und der Tonerfabrik in Coslada (Spanien) ist Irland der vierte Produktionsstandort von Xerox in Europa. Zusammen mit den Forschungszentren in Cambridge und Grenoble beschäftigt Xerox Europe insgesamt 18.500 Mitarbeiter; der Umsatz 1999 wird mit 5,3 Milliarden US-Dollar angegeben.

Bei der Standortqualität dürfte der harmonisch und ökologisch bestens in die Landschaft integrierte Technologiepark in Irland an der Spitze stehen. Auch die vorbildlichen internen Weiterbildungseinrichtungen des Unternehmens leisten einen Beitrag, um die irischen Einrichtungen von Xerox zu einem hochattraktiven Arbeitsplatz zu machen. Die Mitarbeiter haben die Wahl zwischen mehr als 250 Kursen, die allesamt über das Internet absolviert werden können. Wer die Cyber Academy nicht im Lerncenter besuchen will, kann weltweit auch von zu Hause aus lernen.

Die Zukunft des Büros?

Xerox wollte den 84 europäischen Fachjournalisten am 11. Mai 2000 in Dublin noch mehr zeigen, als seine neuen Gebäude. Unter dem vielversprechenden Titel „Die Zukunft des Büros“ sollten Zukunftsprodukte präsentiert werden. Doch die Faszination hielt sich zumindest beim Chronisten in Grenzen.

Zukunft 1: Elektronische Konvertierung von Papiervorlagen via Foto-Schnappschuss

Mit der neuen PageCam-Software ermöglicht Xerox Anwendern, Teile eines Papierdokumentes - beispielsweise ein Diagramm, einen Absatz oder ein Foto - auszuwählen und mühelos in ein elektronisches Dokument einzufügen. PageCam, eine Entwicklung des Xerox Research Centre Europe (XRCE) in Cambridge, Großbritannien, konvertiert die von einer normalen PC-Digitalkamera aufgenommenen Abbildungen in ein elektronisches Dokumentenformat.

Das niederländische Unternehmen Philips Electronics ist der erste Anbieter, der PageCam als Bundle-Lösung mit seiner Vesta Pro VGA PC-Videokamera vertreibt. Die neue Digitalkamera ist ab Juni 2000 in Kombination mit der PageCam-Software als Alternative zum Flachbett-Scanner unter der Bezeichnung Vesta Scan erhältlich.

Von PageCam profitieren in erster Linie Anwender, die nur bestimmte Teile von Dokumenten benötigen. Sie brauchen die für sie relevanten Teile nicht neu zu schreiben oder das gesamte Dokument zu scannen, sondern fotografieren die entsprechenden Passagen mit der Vesta Pro-Videokamera. Zum Scannen wird die Kamera auf einem kleinen Stativ befestigt und so über der Arbeitsfläche positioniert, dass ein Dokument, eine Abbildung oder sogar ein dreidimensionaler Gegenstand vom Objektiv erfasst werden kann. PageCam stellt die Live-Bilder in einem Fenster des angeschlossenen PCs dar, verbessert automatisch deren Qualität und verwendet ein Standard Optical Character Recognition (OCR) Programm. Die Anwender wählen dann einfach die gewünschten Bilder, Texte oder Diagramme aus und ziehen sie mit der Maus zur weiteren Bearbeitung in Anwendungsprogramme.

Zukunft 2: FlowPort erlaubt Dokumenten-Management ohne PC

FlowPort ist eine Server-Software,, mit der Dokumente erfasst und in den digitalen Workflow eines Unternehmens integriert werden können. Die Dokumente  können so – ohne Verwendung eines PCs – abgerufen und verteilt werden. FlowPort basiert auf der im Palo Alto Research Center (PARC) von Xerox entwickelten PaperWare-Technologie. PaperWare setzt als  Schnittstelle für Benutzer sogenannte kodierte Data-Glyphs ein. Es handelt sich dabei um winzige Markierungen auf dem Papier -beispielsweise versteckt in einem Logo - die verschlüsselte Texte, numerische Informationen oder Grafiken enthalten. Durch einfaches Ankreuzen eines Kästchens auf dem PaperWare-Formular können Benutzer verschiedene Befehle an den FlowPort-Server absetzen, um Dokumente per E-Mail, entfernte Druckausgabe oder Internet-basierte Faxübertragung zu verteilen. Darüber hinaus lassen sich Dokumente in Verzeichnissen speichern und daraus abrufen.

Zukunft 3: ePaper für die Tageszeitung

E-Paper lässt Buchstaben auf einer Silikonfolie auf Basis elektrischer Spannung erscheinen. In einem nur 200 Mikrometer (0,2 Millimeter) dicken gummibeschichteten Film schwimmen 40 Mikron große Kapseln. In diesen Kapseln sind 0,1 Mikron große schwarze und weiße Teilchen eingeschlossen. Je nach angelegter Spannung bewegen sich die Teilchen zur jeweils entgegengesetzten Seite. Dadurch richten sich die schwarzen und weißen Teilchen in den Kapseln entsprechend aus und lassen so Buchstaben entstehen. Im Gegensatz zu herkömmlichen LC-Displays hat E-Paper den Vorteil, hochauflösende Zeichen darzustellen, die man auch bei unterschiedlicher Sonneneinstrahlung noch gut lesen kann.

Aufgrund seiner Eigenschaften soll sich E-Paper für folgende Anwendungen eignen:

  • · Elektronische Tageszeitungen mit aktuellen Nachrichten, Sportergebnissen und Börsenkursen, die aktualisiert werden, während die Zeitung gelesen wird.
  • · Elektronische Zeitschriften, die kontinuierlich mit neuesten Informationen aktualisiert werden und mit animierten oder bewegten Bildern die Stories lebendig darbieten.
  • · Elektronische Lehrbücher, die mehrere Schulbücher in einem zusammenfassen; Schüler können darin blättern, die Inhalte durchsuchen und Seiten markieren, ähnlich wie in herkömmlichen Büchern.
  • · Elektronische Displays in Form von wandfüllenden elektronischen Informationsanzeigen, Reklametafeln oder portablen, zusammenklappbaren Displays.
  • Allerdings scheint ePaper noch weit von der Praxisreife entfernt zu sein. Xerox hat die Weiterentwicklung und Vermarktung vollständig an 3M abgegeben.

    Zukunft 4: DImSum – gescannte Dokumente zusammenfassen

    Die Softwarelösung DImSum (Document Image Summarization) kombiniert Image-Processing und statistische Methoden, um Zusammenfassungen von Dokumenten zu generieren. Die Kurzfassungen setzen sich aus extrahierten Schlüsselsätzen und Redewendungen des jeweiligen Dokumentes zusammen. Da bei DImSum  keine OCR (Optical Character Recognition = Texterkennung) eingesetzt wird, entfallen auch mögliche Fehlinterpretationen. Zur individuellen Anpassung kann die digitale Analyse so eingestellt werden, dass bestimmte Elemente eines Dokumentes, beispielsweise Überschriften oder wichtige Abbildungen, als solche erkannt, extrahiert und in die Zusammenfassung eingebunden werden. Außerdem kann der relativ geringe Informationsgehalt von Deckblättern oder Erstseiten durch die “Reduced-Image-Option” berücksichtigt werden. DimSum kann zur Erweiterung bestehender Kopier- oder Druckanwendungen eingesetzt werden. Wann auch immer Dokumente kopiert oder gedruckt werden, ermöglicht DimSum den automatischen Ausdruck einer Zusammenfassung. Eine Demonstration von DimSum ist auf der Internetseite des Xerox Palo Alto Research Center unter www.parc.xerox.com/istl/projects/qca/qca.html abrufbar.

    Das PARC macht erstklassige Forschung

    Im Palo Alto Research Center arbeiten einige der weltbesten Wissenschaftler. Sie arbeiten an hochinteressanten Verfahren, die uns helfen werden, mit der Informationsflut fertig zu werden. Aber zwischen Ihnen und dem Markt sitzen Manager und Vertriebsleute, die mit Kopiergeräten groß geworden sind. Deren Verständnis für Informatik und Software ist im Regelfall überschaubar.

    Xerox steht wie viele andere Großunternehmen vor dem schier unlösbaren Problem, mit dem rasanten Wandel der Technologien und Märkte mithalten zu können. Während HP wieder die Garagenkultur hoch hält und Gewinne einfährt, hat Xerox noch einen weiten und steilen Weg vor sich. Solange Pierre Danon noch Zeit für die Sonnenbank hat, steht ihm der Aufstieg wohl noch bevor.

     

    <Bildlegenden>

    Bild 1 <Technology_Park.JPG, Service_Center.JPG>
    Auf der grünen Wiese hat Xerox Europe in Irland ein zentrales Service-Center und einen Technologie-Park aufgebaut. Von 53 europäischen Servicestützpunkten werden nur sechs übrig bleiben.

    Bild 2: <Learning.jpg>
    Mit der Cyber Academy und einem eigenen Learning Center haben die Xerox Mitarbeiter hervorragende Bedingungen für die eigene Weiterbildung an der Hand.

    Copyright: Roland Dreyer 2000