Die Fotowerkstatt im Hauptstaatsarchiv Weimar

Digitalscanner im Hauptstaatsarchiv Thüringen:
Weimar weist den Weg in der Archivtechnik

Der Marstall zu Weimar beherbergt heute das Hauptstaatsarchiv des Landes Thüringen, das mit seiner reprografischen Ausstattung konsequent die Synergie digitaler und analoger Reprotechnik nutzt.

Vergangenheit hat Zukunft

Wer nach Weimar fährt, um dort die Essenz abendländischer Kulturgeschichte zu schnuppern, bekommt allzu schnell auch den Salmiak der jüngeren deutschen Geschichte in die Nase. Denn vor den Toren der liebenswerten Goethe-, Schiller- und Herder-Stadt liegt das Konzentrationslager Buchenwald, heute Mahn- und Gedenkstätte für die Mordopfer des großdeutschen Terrors.

Auch die Weimarer Innenstadt wurde von der Geschichte kräftig kontaminiert: Im Marstall hauste die Gestapo-Zentrale, in seinen Kellern wurden Gefangene verhört und in der Reithalle sammelte man die Juden zum KZ-Transport.

„Vergangenheit hat Zukunft“ lautet das Motto des Thüringischen Hauptstaatsarchivs, das heute den Marstall nutzt. Ein denkwürdiges Motto angesichts der Bereitschaft vieler, das Tuch des Vergessens über die jüngere deutsche Geschichte zu legen.

Ein Archiv im Aufbruch

Die Geschichte des Weimarer Archivs beginnt 1547 mit der Errichtung der Residenz der ernestinischen Linie des Hauses Wettin in Weimar. Nach der Gründung des Landes Thüringen (1920) wurden die bisherigen Archive ab 1923 zum Thüringischen Staatsarchiv vereinigt. Seit 1951 führte es die Bezeichnung Thüringisches Landeshauptarchiv. In der Archivorganisation der DDR war es ab 1965 Staatsarchiv für den Bezirk Erfurt und firmiert nach der Neugründung des Freistaates seit 1991 als Thüringisches Hauptstaatsarchiv (ThHStA), funktional zuständig für die obersten und oberen Landesbehörden.

Das ThHStA hat zwei Archivgebäude in Weimar. Der Bau am Beethovenplatz mit den frühen Archivalien vom 10. Jahrhundert bis zur Revolution 1918 ist wegen Innenrenovierung bis zum Jahresende 2000 geschlossen. Der Marstall am Kegelplatz beherbergt alles von der Landeskunde um 1920  bis in die 90er Jahre. Hier, im gerade vorbildlich renovierten Südflügel sind auch die Technischen Zentralwerkstätten untergebracht, die von allen fünf regionalen Staatsarchiven Thüringens genutzt werden. Der Umbau des Marstalls wird wohl noch bis Oktober 2002 dauern: dann steht im Innenhof auch ein neuer Lesesaal und ein großes unterirdisches Magazin zur Verfügung.

Auferstanden aus Ruinen..

Für Dr. Bernhard Post, stellvertretender Archivdirektor des ThHStA, den es nach der Wende vom Staatsarchiv Wiesbaden nach Weimar zog, war die Umbruchsituation des Archivs eine große Herausforderung. Einmal standen da die aufwendigen Renovierungs- und Umbaumaßnahmen im Marstall an. Zusammen mit dem Architekten Klaus Aschenbach konzipierte er den Umbau so, dass dem Denkmalschutz höchste Priorität eingeräumt und zugleich ein Maximum an Funktionalität erreicht wurde.

Dr. Post ist daher mit dem bereits fertiggestellten Südflügel des Marstalls sehr zufrieden: „Bei der Restaurierung sind die Teile, die dem Denkmalschutz geschuldet worden sind, sehr ansprechend geraten! Das können sich die Archivare ja im Regelfall nicht leisten: die müssen sich nach der Decke strecken.“ Leisten konnte und wollte sich Bernhard Post aber die historische Ausstellung in dem heute wieder öffentlich zugänglichen Gestapo-Keller seines Hauses. Das Vergessen ist nicht die Sache des promovierten Historikers.

Die zweite Herausforderung sah Post in der Einrichtung der neuen Fotowerkstatt, die in der ehemaligen Remise große und hohe Räume fand. "Einerseits wollte ich eine neue Generation an Mikrofilmscannern haben, andererseits brauchte ich auch ganz einfach einen Auflichtscanner, weil das von der Archivalienschonung her sinnvoll ist. Zudem ist für eine Benutzerkopie der Weg über die Schrittschaltkamera einfach viel zeit- und materialintensiver.“

Für seinen Wunsch fand er in Karl-Ludwig Hartmann vom Erfurter Mikrofilm-Center Klein einen sachkundigen Partner. Hartmann fand einen Weg, um einen Auflichtscanner von Zeutschel gemeinsam mit einem Reader-Printer von Canon am selben Rechner und mit einem gemeinsamen Drucker zu betreiben.

Zwangsarbeiter- und Enteignungsanfragen sind immer eilig

Die Fotowerkstatt im Marstall arbeitet für die sechs thüringischen Staatsarchive: Neben Weimar sind das die Archive in Gotha, Greitz, Altenburg, Meiningen und Rudolstadt. Hier kommt alles zur Verfilmung herein, was man sich in einem Archiv vorstellen kann: von der Urkunde aus dem 9. Jahrhundert bis hin zu Luftbildaufnahmen, historischen Karten und Reproduktionen aus der historischen Sammlung mit derzeit 30.000 Bildern. Auch die Druckvorlagen für Eigenpublikationen oder Repros für Ausstellungen werden mit der eigenen Großbildkamera angefertigt. Der Benutzerkreis vor Ort reicht vom Doktoranden über den Heimatforscher bis zum Genealogen.

Vor allem die Abwicklung der jungen und jüngsten deutschen Geschichte machte eine rationellere Erstellung der Benutzerkopien einfach zwingend. Allein 1994 wurden 80.000 Fotokopien in Amtshilfe gemacht. Waren es seinerzeit Probleme aus der DDR-Zeit von Alteigentümerfragen bis zur SED-Kriminalität, so steht aktuell das Thema Zwangsarbeiter im Vordergrund. Bei diesen Recherchen spielt der Zeitfaktor eine große Rolle. Häufig sind die Anfragenden, wie im Falle der Zwangsarbeit, hochbetagt. In vielen anderen Fällen spielen anstehende Gerichtstermine oder andere gesetzliche Fristen eine Rolle. Das ThHStA hat es durch organisatorische Maßnahmen und die Beschaffung entsprechender Technik erreicht, dass solche Anfragen in der Regel innerhalb von 14 Tagen bearbeitet werden.

Bei rund der Hälfte aller Verfilmungsaufträge genügt dem Anfrager eine sogenannte Benutzer- oder Lesekopie der Archivalie, denn ein reprofähiger Film wird nur für den Druck benötigt. Diesen Auftragsanteil wickelt man im ThHStA seit einem Jahr mit dem digitalen Auflichtscanner eines süddeutschen Herstellers ab. Mit dieser Technik ist Thüringen übrigens den Staatsarchiven der „reichen“ Bundesländer im Westen weit voraus.

Scannen oder Kopieren?

Dieser digitale Auflichtscanner OS 5000 der Zeutschel GmbH aus Tübingen unterscheidet sich sehr wesentlich von einem Kopierer: Wie alle Modelle der Omniscan-Serie von Zeutschel hat auch der OS 5000 eine geteilte Buchwippe, die sich dem meist asymmetrisch aufgeschlagenen Buch optimal anpasst und so den Buchrücken nicht belastet. Der Scankopf blickt von oben auf die gleichmäßig und blendfrei mit Kaltlicht ausgeleuchteten Seiten, so dass man schnell und ohne mühsames Wendemanöver umblättern kann. Geschont wird dabei übrigens nicht nur der Rücken von Buch und Bediener, sondern auch seine Augen.

Die elektronische Signalverarbeitung erfolgt über einen Kamerakopf mit CCD-Zeilenscanner, der in wenigen Sekunden beide Buchseiten schattenfrei und scharf scannt. Vorlagen bis DIN A2 werden wahlweise mit 2, 16 oder 256 Graustufen bei einer Auflösung von 200 bis zu 600 dpi erfasst. Die hohe Schärfentiefe von 50 mm und eine optionale optische Buchfalzentzerrung bilden die Buchmitte auch ohne aufgelegte Glasplatte scharf, schattenfrei und unverzerrt ab.

Mit 256 Graustufen erreicht der OS 5000 die weiche Gradation eines Films: damit hat die Bildbearbeitung bei schwierigen Vorlagen wie etwa alten Handschriften und vergilbten Drucken noch alle Chancen offen, etwa einen feinen Bleistiftstrich vom vergilbten Hintergrund abzuheben.

Vorbereitet auf die Online-Zukunft

Am Bildschirm des Omniscan 5000 kann die Aufnahme sofort beurteilt und bei Bedarf kontrastverbessert, gedreht, ausgerichtet, maskiert und ohne Flecken und Ränder zur weiteren Verwendung aufbereitet werden, ehe der Laserdrucker eine fein gerasterte Reproduktion des Halbtonbildes in A3 oder A4 ausdruckt. Obwohl dieser Druck auf den ersten Blick genauso gut aussieht wie ein Fotoabzug, ist er durch die unsichtbare Rasterstruktur für eine nochmalige Reproduktion nicht geeignet. Ein erneuter Rastervorgang würde zu Moiréstörungen führen: so nebenbei schützt das die billigen Benutzerkopien auch vor Missbrauch.

Die digitale Bilddatei, die der Scanner via SCSI-Bus auf die Platte der NT-Workstation schreibt, wäre mit ihrer 600 dpi Auflösung allerdings durchaus reprofähig. Sie bleibt dem Archiv erhalten – beim Kopierer dagegen ist das Bild auf der Trommel perdu.

Dieser digitale Workflow ist nicht nur um Größenordnungen schneller und billiger, als der früher notwendige Umweg über die Mikrofilmkamera. Er liefert durch die digitale Bilddatei auch die Voraussetzung für die Online-Abwicklung von Benutzeraufträgen, die in einigen Jahren sicherlich auch in Weimar die Regel sein wird. Dann stehen den digitalen Daten alle Wege offen: sie können direkt zum Ausdruck auf einen Laserdrucker gehen, auf die Festplatte oder CD-Rom geschrieben oder im passenden Format – wahlweise JPEG, TIFF, GIF, PDF oder PNG – via Netzwerk, Internet oder Fax verteilt werden.

Modernes Dokumentenmanagement steht somit auch wertvollen historischen Handschriften und alten Folianten zur Verfügung. Die Probleme des Urheberrechts und der Fälschungssicherheit sind heute übrigens recht einfach lösbar: es gibt inzwischen sichtbare und unsichtbare digitale Wasserzeichen, die beim Auslesen aus der Datenbank individuell erzeugt werden und selbst auf der dritten Fotokopiegeneration eines Bildausdrucks noch verraten, wer diese Datei wann rechtmäßig vom Archiv erhalten hat!

Sicherheitsverfilmung noch lange mit Mikrofilm

Für die Bestandssicherung durch Mikroverfilmung sieht Dr. Post allerdings noch lange keine Alternative in der Digitaltechnik. Die klassische Mikroverfilmung auf 35 mm Rollfilm bietet mit ihrer unübertroffenen Auflösung von 200 Linien/mm (5000 dpi) eine extrem hohe und preisgünstige Speicherdichte und kennt weder die Kosten noch die Probleme der so rasch wechselnden digitalen Speichertechnologien.

Auch in der digitalen Ära gibt es keinen Grund, auf den Mikrofilm zu verzichten. Denn Mikrofilm kann über spezielle Filmscanner jederzeit ohne Verluste digitalisiert werden. Im ThHStA Weimar wurde ein derartiger Reader-Printer von Canon einfach in das Bildverarbeitungssystem von Zeutschel integriert: Rechner und Drucker ist es schließlich völlig egal, ob die Daten vom Auflicht- oder vom Mikrofilmscanner stammen. So können auch bereits verfilmte Bestände problemlos in den digitalen Workflow integriert werden.

Die Zukunft gehört der Hybridkamera

Den Entscheidungsspagat zwischen analoger und digitaler Bestandssicherung braucht es auch in Zukunft nicht zu geben. Seit der CeBIT 2000, auf der Zeutschel seine beiden Hybridkameras OK 300 (DIN A0) und 301 (A1) vorgestellt hat, scharren die Archivare weltweit mit den Hufen. Diese Kameras bieten nämlich drei Bedienungsmodi: Nur Scannen (mit max. 800 dpi), nur Verfilmen oder gleichzeitig Scannen und Verfilmen. Entscheidender Vorteil: diese automatische Hybrid-Funktion benötigt nicht mehr Zeit: in nur sieben Sekunden ist eine Vorlage archivsicher erfasst! Auch hier sichert die flexible Buchwippe den schnellen und schonenden Umgang mit dem Original.

Bernhard Post hätte für so eine Hybridlösung zwar Platz in seiner neuen Fotowerkstatt, nicht aber die finanziellen Mittel. Für die dringend notwendige Sicherung des stark erhaltungsgefährdeten Bestands aus dem KZ Buchenwald beispielsweise wäre die Hybridarchivierung geradezu ideal. Auch ein Farbscanner für A1-Vorlagen käme ihm sehr gelegen.

Sie stehen bereits auf seinem Wunschzettel: wenn nach der Abwicklung der laufenden Sanierungsmaßnahmen des Archivkomplexes wieder über Mittel für die technische Aufrüstung diskutiert werden kann.

 Copyright: Roland Dreyer 2000

Der Marstall in Weimar wurde nach den Plänen des Weimarer Architekten Klaus Aschenbach vorbildlich restauriert und beherbergt heute das Thüringische Hauptstaatsarchiv.

In der ehemaligen Remise des Marstalls hat die Fotowerkstatt des ThHStA einen geräumigen Platz gefunden.

Archivdirektor Dr. Bernhard Post vor seinem Auflichtscanner von Zeutschel.

Der Auflichtscanner OS5000 der Tübinger Zeutschel GmbH erleichtert Archivaren in vielen Ländern der Erde die Arbeit. Auch alte Folianten lassen sich mit seiner Hilfe rückenschonend und schnell ablichten.

Die Vorschau auf dem Monitor des Zeutschel-Scanners zeigt den Einfluß der Belichtung schon vor der Ausgabe am Drucker.